七個野人與最后一個迎春節(德)
Die sieben Wilden und das letzte Frühlingsfest
Eine Miao-Legende
von Shen Congwen
Es war der Tag des Frühlingsfests. Die Männer des Dorfs Beixi hatten sich mit ihrem selbst gebrannten Schnaps voll laufen lassen. In der Stadt, so hieß es, sei es jetzt verboten, sich derart hemmungslos zu besaufen. Dort gab es Beamte, und wo Beamte sind, werden alle Arten anstößigen Benehmens komplett verboten. Die Orte mit Beamten gedeihen und entwickeln sich. Moral, Sitten und Gebräuche wandeln sich und gleichen sich den Sitten der Chinesen an, und die überkommene Offenherzigkeit und Großzügigkeit der einheimischen Stämme verschwinden. Daß das Besäufnis zum Frühlingsfest verboten wird, ist ein eher unbedeutender Verlust, wenn alles anders werden muß. Auch in Beixi wird wohl die Zeit kommen, an dem ein Amt eingerichtet wird, und dann werden alle ihre Tage damit verbringen, Steuern zu zahlen, Staatsanleihen zu erwerben und Behördengänge zu erledigen. Bald werden die Kinder begreifen, dass sie vor den Soldaten Angst haben müssen, und irgendwann werden auch die Hunde lernen, dass sie sich davor hüten müssen, Männer in grauen Uniformen anzukläffen. Alle werden die Verbote und Gesetze kennen, jeder wird lernen, die Gesetze zu umgehen und die anderen zu betrügen. So wird es kommen. Wann es in Beixi so weit ist, kann man nicht wissen, aber den Alten ist klar, dass ihre Kinder diesen Tag erleben werden. Die Leute in Beixi sind mutig wie Löwen und können ein Wildschwein mit bloßer Hand erlegen. Die Verwandlung ihres Dorfes jedoch werden sie nicht verhindern können. Auch die ehrwürdigen Greise können nichts gegen die Zerstörung ihrer guten alten Sitten und Gebräuche und das Eindringen der städtischen Kultur ausrichten, und alle, auf deren Worte man hörte, wußten, daß die neuen Sitten an die Stelle der alten Bräuche treten würden. Das also war der Grund dafür, daß man sich bei diesem Frühlingsfest überall mit selbst Gebranntem betrank. Sie wollten sich besaufen bis zum Umfallen und sich um nichts mehr kümmern. Im Rausch wollten sie den Schrecken vergessen und noch einmal ausgelassen feiern.
Wie früher müßten die Felder bebaut, Brennholz geschlagen und Gemüse gepflanzt werden. Der Fortschritt würde allein darin bestehen, daß man sie zwingen würde, Steuern und Abgaben zu zahlen und bei allem kleinliche und schwer zu merkende Vorschriften zu beachten. Bräche ein Bürgerkrieg aus, würden die Männer zum Kriegsdienst eingezogen. Das sind die Vorteile, die die Existenz einer Regierung dem einfachen Volk bringt. Wer legte Wert auf solche Vorteile? Die Clansältesten, die Dorfgendarmen, die Makler, der Fleischer und der Kaufmann, die ihre Waren verkaufen? Wird ihnen eine Regierung ihr Glück bringen? Wird die Regierung denen, die den Acker bestellen, die fischen, die Hexerei betreiben, die Arzneien oder Stoffe verkaufen, zu einem sicheren Leben ohne Sorgen verhelfen?
Was die menschen vor allem interessierte, war, ob ihr Vieh noch von Seuchen befallen würde, wenn Beamte in ihre Gegend kämen. Wenn die Tiere nach wie vor Seuchen zum Opfer fielen, würde das beweisen, dass die Anwesenheit von Beamten überflüssig wäre. Jetzt konnten sie noch selbst gebrannten Schnaps trinken und beim Dorffest die überlieferten Sitten und Bräuche pflegen. Noch konnten die Burschen ihre Mädchen treffen, um zu singen und sich zu amüsieren. Bei Festen versammelten sich noch die Alten, um von ihren ruhmreichen Taten zu erzählen und Kenntnisse über Ackerbau und Fischfang weiterzugeben. Die Männer wurden noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen, noch keine der Frauen arbeitete als Prostituierte, und die Alten hatten noch ihren Platz. Was würde die Zukunft bringen? Das Vergangene kann man nicht zurückholen und gegen das Kommende kann man sich nicht wehren, das ist der Lauf der Dinge! “Ihr, die ihr besoffen seid, schlaft, und ihr, die ihr noch nicht restlos betrunken seid, kippt den Schnaps aus dem Flaschenkürbis hinunter!” Diese Verse hatten ihren einstigen Sinn verloren, sie waren, wenn man sie nun sang, zu einem trostlosen Klagelied geworden.
Zu viele hatten sich heute voll laufen lassen. Nur einen Ort gab es, wo sich die Männer nicht betrunken hatten. Sie hatten keine Flaschenkürbisse mit Schnaps vor sich, sondern nur ein rot aufloderndes Feuer. Es waren ihrer sieben, sechs jüngere und einer von etwa 45 Jahren. In der Mitte ihres großen Hauses brannte ein Haufen Wurzelholz. Die sieben saßen um das knisternde Feuer, während der ältere Mann mit einem eisernen Feuerhaken die am Rand liegenden und noch nicht ganz verbrannten Holzstücke in die Flammen stieß.
Im Raum brannten keine Laternen. Der lodernde Feuerschein erhellte die sieben einfachen, unverdorbenen Gesichter und warf ihre bewegten Schatten in alle Richtungen.
Plötzlich packte der Ältere, der im Feuer gestochert hatte, den eisernen Haken, stieß ihn kräftig in den Boden und sprach:
“Es ist vorbei, dieses Frühlingsfest wird das letzte sein. Nur trinken, sich besaufen, wie viele mögen so denken! Lieber saufen sie sich zu Tode als an morgen zu denken. Sie wollen nicht sehen, wie die Uniformierten ins Dorf marschieren. Ihnen ist klar, dass die Männer der Sippe verderben und die Frauen verkommen werden! Sie verstehen das noch viel besser als wir. Wenn dann das neue System an die Stelle der alten Sitten getreten ist, werden ihr Status und ihr Besitz ins Wanken geraten ... Aber diese Kerle trinken und trinken ...”
Alle im Raum schwiegen. Der Alte hatte zu Ende gesprochen, und nur noch das leise Knistern der sprühenden Funken war zu hören.
In der Stille war deutlich zu vernehmen, wie die Nachbarn knobelten und sangen. Viele lagen nach den ersten Schalen schnarchend auf den Tischen. Gestützt von ihren Söhnen machten sich andere schwankend auf den Heimweg. Viele waren so betrunken, dass sie laut heulten und sangen. Die von alters her von den Göttern erlaubte Zügellosigkeit, dieser einmalige Rausch hatte diese durch und durch anständigen Leute, Menschen, die einer ordentlichen Beschäftigung nachgingen und sich in ihr Schicksal fügten, an diesem Tag völlig verwandelt
Nur bei den Männern in jenem Haus verhielt es sich anders. Der Alte lag nicht betrunken am Boden, die Jungen waren nicht zum Haus ihrer Angebeteten geeilt, um ihr ein Ständchen zu singen oder ein Lied auf der Flöte zu spielen. Sie boten einen seltsamen Anblick, wie sie so schwermütig am Feuer saßen.
Als das letzte Frühlingsfest gekommen war, mussten sich alle von dem einzig verbliebenen guten alten Brauch verabschieden, indem sie feierten und sich betranken. Doch die Sieben waren mit ihren Gedanken nur bei dem Feuer, bis die fliegenden Funken verklommen waren.
Während sie alle schweigen, können wir die Gelegenheit nutzen um die Behausung zu beschreiben. Es war ein Gebäude aus Lehmziegeln, hoch wie ein Richtersaal und weit wie ein Amtsgebäude. Die hohe Decke verjüngte sich nach oben zu einem Kamin, zu dem der Raum von der Feuerstelle aufstieg. Drei Wände bestanden aus großen Lehmziegeln, die vierte war mit Fellen bedeckt, hinter denen sich ein Vorraum befand. Neben vier Betten aus Holz standen in dem großen Raum noch eine Anzahl grober Holzmöbel und ein Schrank, und an den Wänden waren Tierhäute und Jagdutensilien zu sehen. Ein frisch abgezogenes Tigerfell hing in der Mitte, mit dem Kopf nach oben, während der Schwanz bis zum Boden reichte. An einem aus der Decke ragenden Haken hingen bewegungslos Fasane und unzählige Hasen. Offensichtlich handelte es sich bei den Bewohnern um Jäger.
Herr des Hauses war der alte Jäger, der neben dem Feuer saß. Den Tiger, dessen Fell an der Wand hing, hatte er im letzten Monat mit dem Gewehr erlegt. Die übrigen Sechs waren seine Schüler. Sie stammten aus den führenden Familien der verschiedenen Sippen. Der kenntnisreiche Alte hatte seine besten Jahre damit verbracht, unermüdlich als Lehrmeister zu dienen und seinen Schülern alles über Fallenstellen, Kriegskünste, Medizin und Heilkräuter beizubringen. Jeden Tag führte er sie in die Berge, und wenn sie zuhause waren, versammelte er sie um sich und nutzte die Zeit der Muße für die Unterweisung in anderen nützlichen Kenntnissen. In allen Dingen ging er als Vorbild voran. Er nahm die Mühe auf sich, den jungen Leute zu helfen, ihren Charakter auf das Vortrefflichste auszubilden, und mahnte sie, unaufhörlich nach Höherem zu streben. Wein zu trinken und Lieder zu singen war nicht untersagt, doch lehrte er sie, sich beim Wein als auch beim Umgang mit Frauen zu zügeln. Und wie stand es mit seinen sechs Lehrlingen? Sie waren mutig und ehrlich. Ihre natürlichen Gaben waren durch des Meisters Tugendhaftigkeit verfeinert und durch seine Klugheit gestählt worden, so dass sie alle Eigenschaften eines vortrefflichen Mannes besaßen. Sie sahen den Alten als ihren Vater an und die Gefährten als ihre Brüder. Sie hielten alle Gebote ein und verbrachten ihre Tage glücklich und in Eintracht, ohne je Neid oder Mißtrauen gegen andere zu hegen. Zur Jagd stiegen sie hinauf in die Berge und um ehrlichen Handel zu treiben begaben sie sich ins Tal. Die Tiere, die sie in den Bergen erlegt hatten, tauschten sie gegen alles ein, was sie benötigten: Gewehrkugeln, Pulver, Pfeilspitzen, Bogensehnen und Wein. Wenn sie Glück hatten, konnten sie noch weitere Dinge erwerben, die von weit her kamen, z. B. Ringe oder Wollmützen und dergleichen mehr. Unbeschwert arbeiteten und aßen sie und führten ein sorgloses Leben. Mit ihren Kugeln jagten sie das Wild, mit ihren Liedern lockten sie die Mädchen in die Berge.
Sie lebten in ihrer separaten Welt, bis sie erfuhren, dass sich ganz in der Nähe Beamte und Behörden angesiedelt hatten. Nun wurde ihnen bewußt, dass die Veränderungen bald auch Beixi erfassen würden. Sonst hatten sie zum Frühlingsfest immer neue Kleider angelegt und dann Fasane, Hasen, Pilze, Marderhunde und dergleichen als Geschenke in die Häuser ihrer Mädchen gebracht. Doch diesmal machten sie sich nicht auf den Weg. Sonst hatte sich ihr Meister immer zum Dorftempel begeben um dort mit den Alten zu trinken. Doch diesmal ging er nicht.
Dem Befehl des Alten folgend blieben die sechs Lehrlinge zuhause, saßen still um das Feuer und lauschten seinen Erzählungen. Er sprach über die Wandlungen, die im Orte vor sich gingen, und beschrieb auch alles, was er über die Folgen wußte, die die Einführung der Gesetze anderswo gebracht hatte. Seine Empörung wuchs, und auch die Jungen gerieten bald in Wut. Sie schwiegen zwar, aber alle spürten in diesem Moment einen unbestimmten Widerwillen gegen das Gesetz. Da ergriff der Alte wieder das Wort: “Was könnte so ein Beamter hier mitsamt seinem Trupp Soldaten nützen? Wen sollten sie beschützen? Wenn der Tiger kommt oder die Heuschrecken, kann er nichts ausrichten. Bricht ein Feuer aus oder schwellen die Flüsse an, kann er nichts dagegen tun. Bei uns gibt es keine säumigen Schuldner, aber dort, wo es Beamte gibt, sind nicht wenige, die ihre Schulden nicht begleichen. Bei uns weiß man noch nicht, dass man von Betrug leben kann. Dort, wo es Beamte gibt, leben alle ausschließlich von Betrug. Unsere jungen Leute müssen arbeiten gehen, aber dort, wo es Beamte gibt, ist das nicht üblich. Bei uns hier gibt es weder Bettler noch Banditen, aber dort, wo es Beamte gibt, gibt es derer viele. Die Beamten geben vor, die Bürger zu schützen, um nur noch mehr Steuern und Abgaben auf deren Schultern zu laden.”
Beamte sind nutzlos, darin waren sich alle einig. So schlossen sie endlich eine Vereinbarung: Wenn in Beixi jemals das Beamtentum seinen Einzug halten sollte, würden sie sich alle einmütig dagegen zur Wehr setzen. Sie wollten weiter frei und gleichberechtigt leben, und ein Gott, der von nichts wußte, wäre ihnen als Herr lieber als ein Beamter. Ein Gott ist immer unparteiisch. Beamte hingegen sind nicht sonderlich vertrauenswürdig. Außerdem ahnten sie, dass das ganze Leben zur Last würde, wenn es Beamte gäbe. Sie fanden, dass der Mensch nicht nur für jene lästigen Pflichten lebte; deshalb wäre eine Regierung nur für Völker nötig, die sich gerne mit solchen Unannehmlichkeiten plagen. Die Leute aus Beixi aber, die im allgemeinen solche lästigen Pflichten scheuten, hatten daran keinen Bedarf. Angesichts der enormen Macht, die eindringen würde, und des Unheils, das ihnen letzten Endes drohte, überschätzten einige der Jungen ihre Kräfte und verpflichteten sich, Widerstand zu leisten. Noch am selben Abend schworen sie einander, bis zum letzten Tropfen Blut zu kämpfen. Als sie dies besprochen hatten, war es bereits Mitternacht und jeder legte sich zur Ruhe. Hätte jemand an diesem Abend in Beixi eine Untersuchung angestellt, hätte er herausgefunden, dass die Mengen an Alkohol, die man konsumiert hatte, ganz außerordentlich waren und man alle bisherigen Frühlingsfeste übertroffen hatte. Die Leute hier hatten sich so hemmungslos dem Feiern hingegeben, dass der Tag unbemerkt gegangen und das Neue Jahr bereits gekommen war.
Bald kam der Frühling. Schon im März spross erstes Grün an den Berghängen, die Bäume schlugen frische Triebe aus, Vögel brüteten in ihren Nestern und auf den Regen folgte die wärmende Sonne. Mehrere Tage war es klar gewesen und überall an den Hängen und auf den Feldern waren die Leute bei der Arbeit oder sangen Lieder. Gerade in dieser Zeit kamen Abgesandte aus der Grenzstadt, um das Projekt der Einrichtung eines Amtes zu untersuchen. Es waren zwei Leute gekommen, die sich mit den wichtigen Leuten im Dorf trafen. Unter deren Führung begutachteten sie unterschiedliche Plätze im Dorf. Die Frauen versammelten sich mit ihren Kindern an der Hand in der wärmenden Sonne, um die Angelegenheit zu besprechen. Die Männer aus der Stadt hatten unzählige Fragen gestellt, hatten den Altar des Erdgottes vermessen und die Haushalte registriert. Nach zwei Tagen waren sie wieder abgereist.
Beim zweiten Mal kamen fünf Leute und die Situation unterschied sich von der voran gegangenen. Beim letzten Mal hatten sie sich nur umgesehen, aber nun sollte das Amt offiziell eingerichtet werden. Besonders achteten sie auf die Frauen. In jeder Familie und in jedem Haushalt wurden die Frauen registriert, und, verängstigt wie sie waren, wussten sie nicht wie sie darauf reagieren sollten. Kaum hatten die Lehrlinge davon erfahren, berichteten sie es ihrem Meister. Er rief alle zusammen, um erste Gegenmaßnahmen zu erörtern: “Die Entwicklung entspricht genau unseren Erwartungen,” begann er. “Der Tag, an dem unser ganzes Dorf vernichtet wird, ist gekommen, und wir müssen unsere Plicht erfüllen. Was sollen wir tun? Ihr könnt alle Vorschläge machen, über die wir dann diskutieren können. Auf keinen Fall werden wir hinnehmen, dass wir von Beamten regiert werden.”
Der Erste sagte: “Wir jagen sie weg und damit ist die Sache erledigt.”
Der Zweite sagte: “Wir vertreiben sie.”
Der Dritte, Vierte, Fünfte und Sechste waren der gleichen Meinung. Da die Beamten gekommen waren, obwohl man sie nicht gerufen hatte, schien es keine andere Möglichkeit zu geben als sie zu vertreiben. Wenn sie sich nicht verjagen ließen und wenn Blut vergossen werden müsste, würden sie nicht zögern sich zu opfern. Sie hatten ein reines Gewissen, und wen man auch fragte — niemand brauchte einen Beamten. Da niemand sie gerufen hatte, und sie dennoch unbedingt kommen wollten, war die Gegenseite für alle Folgen verantwortlich.
Für diese jungen, einfachen Hirne war die Macht der Beamten nicht viel bedrohlicher als ein Tiger oder Panther. Mit vereinten Kräften würde man sie vertreiben können. Wie es sich bei den anderen Leuten im Dorf verhielt, wissen wir nicht, aber daß diese Sieben eines Sinnes waren ist gewiß.
Doch die Einrichtung der Behörde kam voran, manche Untersuchungen und Maßnahmen konnten trotz des Widerstandes nicht verhindert werden. Die Sieben leisteten offenen Widerstand und planvoll versuchten sie, die Kommissare an ihrer Arbeit zu hindern: Den Einheimischen untersagten sie, den Kontrolleuren den Weg zu zeigen oder mit ihnen zu reden. Darüber hinaus verteilten sie sich an verschiedenen Orten und gaben sich als Führer aus. Sie lockten die Untersuchungskommissionen tief in die Berge, bis sie jede Orientierung verloren hatten. Am Ende aber half alles nichts. Der Widerstand blieb vergeblich. Ende März waren die Steuerbehörde und der Yamen eingerichtet. Die Pläne der Sieben waren gescheitert, und sie zogen sich in eine Höhle in den Bergen zurück. Von alters her galten die in Höhlen lebenden Menschen als Wilde. Sie mussten keine Steuern zahlen, keine Getreidesteuer oder andere Abgaben leisten. Zudem unterstanden sie auch nicht den Dorfgendarmen. Da die neu angekommenen Beamten zunächst mit dem Eintreiben von Steuern, mit Fressen und mit Saufen beschäftigt waren, fiel ihnen das Verhalten der sieben Wilden nicht auf. Manche wussten zwar, dass sie sich nicht fügen wollten, doch von alters her hatte das Gesetz des Königs in den Tempeln und Höhlen keine Geltung. Außerdem hatten die Höhlenbewohner nicht vorsätzlich die Gesetze verstoßen, und so ließ man die sieben Wilden in Ruhe.
Nachdem sie in die Höhle umgezogen waren, bestritten sie ihr Leben weiterhin mit der Jagd. Doch brachten sie ihre Jagdbeute nicht mehr auf den Markt, sondern alle, die Wild haben wollten, kamen zu ihnen, um es gegen Öl, Salz und Tabak zu tauschen. Vor ihrer Höhle machten die Sieben ehrliche Geschäfte und bewirteten die Besucher sogar noch mit selbst gebranntem Schnaps. Überschüssigen Tierfelle schenkten sie den attraktivsten und mutigsten jungen Männern im Dorf, und für die schönsten Mädchen jagten sie weiße Hasen, zogen ihnen die Felle ab und fertigten Muffs für sie daraus.
Alle jungen Liebespaare konnten hier die Nacht verbringen. Einige benachbarte kleinere kleine Höhlen, die nur gesäubert werden mussten, stellten die Wilden eigens den Liebespaaren zur Verfügung. Sie statteten die Höhlen mit trockenem Reisstroh aus, auf dem ihre Gäste schlafen konnten, und stellten frisches kaltes Wasser und nach Rosen duftende Süßkartoffeln bereit. Die Paare, die sich in diesen Höhlen miteinander vergnügten, wurden von keinem Menschen gestört. Sie hielten einander eng umschlungen und schliefen selig, bis der Tag anbrach. Manchmal vergaßen sie, den Herrn der Höhle zu grüßen, manchmal gingen sie fort, ohne ein Wort des Dankes zu sagen. Doch das war ganz normal.
Die Wilden selbst lebten selbstverständlich nicht als Müßiggänger oder Einsiedler, denn sie waren ja nicht in die Höhle gezogen, um zu meditieren. Tagsüber saßen sie in der Höhle und schliffen ihre Messer, oder sie übten sich in der Kampfkunst, oder sie pflanzten vor der Höhle Gemüse an und schöpften Wasser. Manchmal auch stiegen sie hinauf auf die Höhen, die Hänge und Bergrücken, und sangen ihre Lieder. Eine ihrer Aufgaben bestand darin, mit abwechslungsreichen Liedern die Herzen der Frauen zu fesseln und die Mädchen, die ihr Leben mit Gesang und Vergnügungen zubrachten, mit ihren Liedern in die Höhle zu locken. Wenn sie Gefallen aneinander fanden, so sprach nichts dagegen, dass sie die Nacht dort verbrachten, wenn nicht, dann vergnügten sie sich noch im Freien mit einigen unterhaltsamen Spielen. Anschließend begleiteten sie ihre Gefährtinnen hinunter ins Dorf. Sie waren zwar frei, aber nicht zügellos, und nie kam es vor, daß sie sich durch Übermaß den Magen verdarben.
Die Kleider und Hosen, die die jungen Leute trugen, ebenso wie ihre hirschledernen Taschen, hatte diese Mädchen in liebevoller Handarbeit angefertigt. Sie hingegen beschenkten ihre Freundinnen mit Blumen und Beeren aus den Bergen und den Fellen von kleinen Bergfüchsen. Bevor sie zur Jagd aufbrachen, pflegten sie zu vereinbaren, welcher neuen Freundin sie die erlegte Bergziege und welcher Geliebten sie den erlegten Wildhund schenken würden. Mit ihren Mündern küssten sie nicht nur, sondern sangen auch Lieder auf die Natur und die Liebe. Lügen jedoch kamen nie über ihre Lippen, ganz im Gegensatz zu den anderen Menschen, die in China lebten. Jeder von ihnen erledigte die Arbeiten, die anstanden, und sie konnten nicht verstehen, dass für die anderen Menschen auf der Welt Nichtstun Genuss bedeutete. Ihnen erschien jeder Tag wie neu, daher mussten alle, außer denen, die in der Höhle geblieben waren, sich in die beste körperliche und seelische Verfassung bringen. Sie mussten sich auf jenen Tag vorbereiten, von dem sie nicht wussten, ob er ihnen Glück oder Unglück bringen würde. Sie waren weder abergläubisch noch schicksalsgläubig, aber sie verstanden es, eine Niederlage hinzunehmen. Wenn einer beispielsweise bei der Jagd das Berghuhn nicht erlegen konnte, blieb er nicht stur bei seinem Plan, sondern kehrte zur Höhle zurück. Und wenn einer beim Gesang eine Niederlage erlitt, einerlei, wer es war, und er merkte, dass er keine Chance hatte, kam er niemals auf den Gedanken, das Mädchen mit Gewalt oder mit Geld für sich zu gewinnen.
Weil alle gleich waren und alles gerecht verteilt war, gab es kaum Neid.
Der Meister unterwies die jungen Leute nicht nur in der Kampfkunst, im Fischfang und in der Jagd, sondern er lehrte sie auch die Zaubermittel, mit denen sie die Herzen der Frauen für sich gewannen. Er lehrte sie, in jeder Situation das passende Lied zu singen und ihre Stimme auszubilden um damit die Geliebte zu gewinnen und sie auch nach der ersten Bekanntschaft glücklich zu machen. Weiter unterrichtete er sie darin, wie sie ihre Geliebten gefügig machen könnten, so dass sie ihnen dann umso mehr Lust schenken könnten. Und er erzählte ihnen, wie sie sich selbst bei Kräften halten könnten, denn erst dann könnten sie zu Männern werden, die treu der Liebe dienen.
Wie ein Meister, der Verse lehrt, brachte er ihnen bei, Lieder zu singen; wie ein Lehrer, der Gymnastik und Taktik lehrt, unterwies er sie, wie man den Frauen begegnet. Und wie ein Dorfältester, der ein kaiserliches Edikt vorträgt, ermahnte er sie, niemals unrechte Methoden zu verwenden, um die Liebe der Frauen und das Vertrauen anderer Menschen zu gewinnen.
Der Meister ging immer selbst mit gutem Beispiel voran. Am Morgen war er der erste, der aufstand. Bei der Tigerjagd ging er voran, beim Schlangenfang übernahm er die größte Schlange. Er schwamm voraus, wenn Flüsse überquert wurden und kletterte auf die am schwersten zu besteigenden Bäume. Trotz seines Alters hatte er auch bei den Frauen nichts von seinem Wagemut und seiner Begeisterung eingebüßt. Wenn eine von ihnen die Jungen um einen Gefallen bat und sie ihm gefiel, drückte er sich nie vor der Aufgabe.
Nur solche Menschen verdienen es, als geachtete Führer behandelt zu werden.
So vergingen die Tage, und keiner von ihnen empfand es als Nachteil, zu den Wilden zu gehören. Im Gegenteil, sie genossen ihr Vorrecht, niemals auch nur einen Pfennig an jene Müßiggänger zahlen zu müssen, die es sich gut gehen ließen. Sie ließen sie in Ruhe, störten sie nicht und respektierten die vornehmen Leute, die den lieben langen Tag in ihren Steinhäusern saßen, ermittelten, verhörten, zu Geldstrafen verurteilten und Missetäter prügeln ließen.
Sie achteten die Würde des Staates, doch sie selbst hatten es nicht nötig, andere einzuschüchtern und zu verurteilen, sie ins Gefängnis zu werfen und auspeitschen zu lassen. Es gab bei ihnen keine Beamten, denn sie sorgten selbst für ihr Leben.
So lebten sie froh und glücklich. Aber wie stand es mit den anderen in Beixi?
Das Dorf Beixi war Sitz einer Kommandatur geworden. Der Grund und Boden gehörte nun dem Kaiser und alle waren seine Untertanen. In kurzer Zeit war nichts mehr wie früher. Die großen Besäufnisse zum Frühlingsfest waren schließlich verboten worden, ebenso alle anderen Dorffeste. Wer früher an den Himmelsgott glaubte, musste jetzt an den Herrscher glauben. Denn die himmlische Vergeltung war ungewiss, der Herrscher hingegen verfügte über unzählige Beamte und Soldaten, er residierte in einem prunkvollen Palast. Stand jemandem der Sinn danach, Schnaps zu trinken, so brauchte sich der Herrscher nur zu räuspern und schon wurde der Missetäter abgeschlachtet. Deshalb empfahl es sich, an den Herrscher zu glauben.
Beixi unterschied sich immer weniger von anderen Orten. Schon gab es auch hier Leute, die aßen ohne dafür zu arbeiten. Vornehme Herren tauchten auf, die von Betrügereien lebten, und manche Helden machten sich mit Lügen und Mord einen Namen und wurden reich. Sklavenmärkte entstanden und staatliche Opiumhöhlen. Die Gegend entwickelte sich rasch, und nach einem Jahr schon war vom alten Beixi kaum etwas übriggeblieben.
Wieder stand das Frühlingsfest bevor. Doch nun waren solche unzivilisierten Feste wie das ausgelassene Besäufnis zum Jahresanfang und das Picknick im Freien gesetzlich verboten. Alle Verstöße gegen das staatliche Gesetz wurden streng und unnachsichtig bestraft. Am Tag des Frühlingsfestes kamen allen, die sich nach den alten Bräuchen sehnten und unbedingt wieder einmal ausgelassen feiern wollten, die Wilden in der Höhle in den Sinn. Dort, wo sie wohnten, mussten die Untertanen selbstverständlich die Gesetze einhalten, doch in der Höhle wären sie so gut wie aller Fesseln entledigt. Also eilten sie in großer Zahl dorthin um zu feiern. Es waren fast zweihundert. Als ihr Gastgeber sah, wie viele gekommen waren, ließ er sechs Platten mit Wildgerichten zubereiten: Marderhunde, Wildschweine, Wildgänse und Fasanen, die sie erlegt hatten. Außerdem schickte er seine Schüler, aus einer anderen Höhle einige große Krüge gut gelagerten Schnaps zu holen. Er teilte die Gäste in mehrere Gruppen auf, und alle schöpften mit Holzschalen und mit Kürbissen den Schnaps und aßen mit den Händen. Die Zurückhaltenden unter ihnen wurden nicht satt, die Vorwitzigen dagegen schwelgten nach Herzenslust.
Alle sangen Lieder und tranken. Jetzt setzten sich einige der Betrunkenen hölzerne Schalen auf den Kopf und riefen: Der Bursche, der sich Kaiser nennt, hat auch nur eine Mütze auf dem Kopf, auch wenn sie mit Gold bestickt ist. Die anderen stimmten ihren tollen Reden zu und setzten sich ebenfalls Holzschalen, Kürbisse und sogar Schweinekiefer auf die Häupter. Anstelle der Insignien der Beamten und des Kaisers hielten sie Gemsenbeine und Fasanenschlegel in den Händen. Ausgelassen lachten und hüpften und tanzten sie. Niemand ahnte, was sich an den folgenden Tagen ereignen würde.
Am nächsten Tag passsierte nichts.
Am dritten Tag, die Leute von Beixi waren noch im tiefsten Schlaf, kamen siebzig mit Gewehren und Schwertern bewaffnete Soldaten mit einem Offizier, der ihnen mit seinem Säbel ihre Stellungen anwies. Sie umzingelten die Höhle der Wilden. Für jeden von ihnen lagen zehn Soldaten im Hinterhalt. Sieben Leichen blieben in der Höhle zurück, sieben Köpfe wurden nach Beixi gebracht und am Baum vor dem Tor des Steueramtes aufgehängt. Man ließ bekanntgeben, sie hätten geplant, die Regierung zu stürzen. Sie seien Aufrührer und deswegen seien sie getötet worden. Für alle, die bei ihnen Schnaps getrunken hatten, galt: Wer sich freiwillig meldet, wird milde behandelt. Für alle galt: Der Besitz derer, die sich nicht sofort selbst melden und entdeckt werden, wird beschlagnahmt. Die Schuldigen werden in die Verbannung geschickt und ihre Kinder werden an die staatlichen Vermittlungsstellen geschafft und als Sklaven und Sklavinnen verkauft.
Schon nach kurzer Zeit waren die Ereignisse in Beixi in Vergessenheit geraten, denn der Fortschritt hatte auch diese Gegend erreicht.
(Shanghai 1929)
Übersetzt im Rahmen eines Proseminars am Sinologischen Seminar, IAAW, Humboldt-Universität zu Berlin, WS 2000/2001 (Leitung: PD Dr. H. Kühner)
Quelle: Shen Congwen: Xin yu jiu, Changsha: Yuelu Shushe, 1992, S. (Shen Congwen bieji, herausgegeben von Liu Yiyou u. a.)
[中文原文]
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- 尖扎縣05月30日天氣:小雨轉中雨,風向:東風,風力:<3級,氣溫:25/11℃
- 高平市05月30日天氣:晴轉多云,風向:南風,風力:<3級,氣溫:20/13℃
- 墨玉縣05月30日天氣:陰,風向:無持續風向,風力:<3級,氣溫:25/13℃
- 西寧市05月30日天氣:小雨轉中雨,風向:東風,風力:3-4級,氣溫:24/10℃
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